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................................Über die Dinge im Land
Chacheperreseneb, circa 1800 v. Chr. Übersetzung: Jan Assmann ---------------------------------------------------
Übersetzung von Erik Hornung:
Abriß der Worte, Blütenlese der Sprüche, Sehnsucht nach Reden bei der Suche nach dem Herzen, verfaßt von dem heliopolitanischen Priester ... Chacheperreseneb, genannt Anchu: Hätte ich doch unbekannte Reden, fremdartige Sprüche, neue Worte, noch nie gebraucht und frei von Wiederholungen, nicht die Sprüche der Vergangenheit, welche die Vorfahren schon brauchten! Ich presse meinen Leib aus von dem, was er hält, ich siebe alle meine Worte; denn Wiederholung ist alles, was man sagt, und alles Gesagte ist (schon einmal) gesagt. Die Worte der Vorfahren sind nichts zum Rühmen, wenn die, die später kommen, sie wiederverwenden. Der soll nicht sprechen, der (schon) gesprochen hat, (sondern) der soll sprechen, der etwas zu sagen hat. Ein anderer soll herausfinden, was zu sagen ist, kein bloßes Nachschwätzen von Worten, wie man es immer schon tat! Doch auch keine Rede, die (nur) gesagt werden könnte, das ist vergebliche Mühe, dazu noch unwahr, und niemand wird andere daran erinnern wollen. <102> Ich sage dies, wie ich es kennengelernt habe: von der ersten Generation bis zu denen, die einst kommen alle ahmen nur nach, was vergangen ist. Wüßte ich doch, was andere nicht wissen, was niemals noch überliefert wurde, daß ich es sage und mein Herz mir Antwort gebe! Dann würde ich ihm mein Leiden erhellen, die Last meines Rückens ihm überwälzen, ja, ich denke nach über das, was geschehen ist, über die Ereignisse in der Welt: alles wandelt sich, nichts ist wie im vorigen Jahr, ein Jahr lastet schwerer als das andere, die Welt ist verwirrt, zerstört, verwüstet. Das Recht ist hinausgeworfen, das Unrecht sitzt im Beratungssaal. Die Pläne der Götter sind gestört, ihre Weisungen mißachtet man. Das Land macht eine Krankheit durch, überall herrscht Jammer, Stadt und Land sind voller Klage, alle sind gleichermaßen mit Unheil geschlagen. Der Autorität wendet man den Rücken, (sogar) die Verstorbenen werden gestört. Jeden Morgen, wenn es tagt, schaudert das Gesicht vor dem, was geschah. Ich muß darüber sprechen, denn mein Leib ist bedrückt, Trauer wohnt mir im Herzen, und es ist schmerzhaft, darüber zu schweigen. <103> Ein anderes Herz würde dadurch niedergebeugt, aber ein tapferes Herz ist auch in schlimmer Lage ein Kamerad für seinen Herrn. Hätte ich doch ein Herz, leiderfahren, dann würde ich bei ihm Zuflucht finden; ich könnte es damit beladen, mein Leid zu klagen, würde ihm meinen Schmerz auferlegen! Er sprach zu seinem Herzen: Komm doch, mein Herz, daß ich zu dir spreche und du mir antwortest auf meine Sätze -deute mir, was in der Welt geschieht, (warum) die, die glänzten, gestürzt sind. ja, ich denke nach über das, was geschehen ist: Not ist heute hereingebrochen, Feindschaft wird auch morgen herrschen, aber alle Welt schweigt darüber. Das ganze Land ist in großer Verwirrung, niemand ist frei vom Bösen, und alle tun es, ohne Unterschied, die Herzen sind gierig. Wer Befehle erteilte, dem wird jetzt befohlen, und beide finden sich damit ab. Man wacht täglich dazu auf, und die Herzen weisen es nicht zurück, die Sorgen von gestern sind die von heute, man beachtet es nicht, weil es zuviel ist. Die Gesichter sind stumpf, keiner ist weise genug, es zu erkennen, keiner zornig genug, es auszusprechen, man steht nur auf, um zu leiden. <104> Mein Leiden ist lang und schwer; der Arme ist zu kraftlos, um sich zu retten vor dem, der reicher ist als er. Es schmerzt, zu dem zu schweigen, was man hört, und Not bringt es, dem Uneinsichtigen zu antworten. Einer Rede zu entgegnen, schafft Feindschaft, das Herz nimmt die Wahrheit nicht an, und man duldet keinen Widerspruch, denn jeder liebt nur seine (eigenen) Worte. Alle Welt baut auf «Krummes», aufrichtige Rede ist abgeschafft. Zu dir sprach ich, mein Herz, daß du mir antwortest! Ein angeredetes Herz darf nicht schweigen, denn die Sorgen des Herrn sind die des Dieners -zu viel lastet auf dir!
Hornung, Erik (1933–2022): Gesänge vom Nil. Dichtung am Hofe der Pharaonen. Zürich / München: Artemis, 1990, 101-104.191-192.
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